Welchen Zweck erfüllen „grüne“ Aktienstrategien bei der Absicherung von Klimarisiken?
Aus Unternehmensperspektive sind im Zusammenhang mit dem Klimawandel, neben den erwarten Umweltveränderungen, transitorische Risiken von hoher Relevanz. Das transitorische Klimarisiko definiert den ungewissen Pfad zu einer emissionsfreien Gesellschaft. Die perspektivische Veränderung von Regulatorik und Konsumentenverhalten, als Reaktion auf den Klimawandel, haben das Potential die Geschäftstätigkeit und die Wachstumsaussichten von Unternehmen grundlegend zu verändern. Mit zunehmendem Druck für Anpassungen, erhöht sich auch das Risiko für Wertanpassungen bei betroffenen, börsennotierten Unternehmen. Welche Möglichkeit haben Kapitalanleger sich gegen diese Risiken abzusichern? Wie lassen sich transitorische Klimarisiken überhaupt messen? Welche Rolle können dabei Methoden der künstlichen Intelligenz und Nachrichtentexte spielen?
Ein Forscherteam, bestehend aus Prof. Dr. André Betzer, Matthias Apel (beide Bergische Universität Wuppertal) und Dr. Bernd Scherer (EDHEC Risk Institute), widmet sich diesen Fragen in dem Beitrag "Real-time Transition Risk". Der Beitrag wurde jüngst von "Finance Research Letters" zur Veröffentlichung angenommen. „Finance Research Letters“ besitzt unter den finanzwirtschaftlichen Zeitschriften weltweit einen der höchsten Impact Faktoren (aktuell: 9,848).
In dem Forschungsbeitrag stellen die Autoren zunächst einen innovativen Algorithmus für die Erfassung von transitorischen Klimarisiken vor. Existierende Methoden, basierend auf Nachrichtenartikeln, werden erweitert, um den Textinhalt mit Hilfe künstlicher Intelligenz explizit hinsichtlich des Einflusses auf Klimarisiken zu analysieren. Unterschieden werden Ereignisse, die den Übergang hin zu einer klimafreundlichen Ökonomie vorantreiben oder verlangsamen. Während beispielsweise die Einführung von Emissionsgrenzen für PKWs oder Subventionen für Solarparks die Transition erwartungsgemäß beschleunigen, wirken verlängerte Laufzeiten für Kohlekraftwerke oder die inkonsequente Umsetzung von Emissionszielen entgegensetzt. Aus der Quantifizierung dieser in Nachrichten lassen sich im zeitlichen Verlauf transitorische Klimarisiken approximieren.
Die Kapitalmarktforschung und die Finanzindustrie hat, als Reaktion auf einen erhöhten Bedarf für die Absicherung von Klimarisiken, eine Vielzahl von Strategien entwickelt. Ausgerichtet an den Anlagezielen von Investoren lassen sich diese in zwei Kategorien unterteilen: (1) Emissionsoptimierte Portfolien, die sich insbesondere an indexorientierte Anleger richten. Unter Aufrechterhaltung eines hohen Diversifikationsgrades sollen durch entsprechende Gewichtung, Preisrisiken von Emissionen weitestgehend ausgeschlossen werden. (2) Strategien, die Unternehmen auf Basis ihrer Geschäftstätigkeit selektieren. Die Portfolien setzen sich aus Unternehmen zusammen, welche einen signifikanten Anteil ihrer Umsätze durch Produktlösungen zu der Bekämpfung des Klimawandels und der Umweltzerstörung generieren. Diese Ansätze richten sich an Investoren, die mit ihrem Kapital den ökonomischen Wandel unterstützen wollen.
Das Forscherteam untersucht für jede Kategorie verschiedene Portfoliostrategien, um den Einfluss von transitorischen Klimarisiken auf die Renditeentwicklung von vermeintlich „grünen“ Aktienstrategien zu analysieren. Die Ergebnisse zeigen, dass transitorische Klimarisiken die Entwicklung von Aktienstrategien, basierend auf der operativen Geschäftstätigkeit, signifikant beeinflussen, jedoch nicht von emissionsoptimierten Ansätzen. Eine mögliche Erklärung liefert die unterschiedliche Portfoliozusammensetzung. Die meisten Sektoren mit relativ geringen Emissionsniveaus (z.B. Pharma, IT) werden weder von restriktiven Umweltgesetzen profitieren noch wird eine Deregulierung zu einem erwarteten Nachfragerückgang der Produkte und Dienstleistungen führen. Ein wesentlicher Zusammenhang zwischen transitorischem Risiko und der Renditeentwicklung findet sich für jene Unternehmen (z.B. aus den Bereichen der erneuerbaren Energien), die aufgrund ihrer operativen Geschäftsmodelle besonders vom Übergang zu einer kohlenstoffärmeren Wirtschaft profitieren.
Die Ergebnisse haben relevante Implikationen für Wissenschaft und Praxis zugleich. Klimaorientierte Portfolioansätze, die ausschließlich auf Basis von Emissionsdaten optimiert sind, werden keine Absicherung bieten, wenn der öffentliche und politische Druck zunimmt, sich den Auswirkungen des Klimawandels zu stellen. Anleger, die an den transitorischen Chancen und Risiken partizipieren wollen, sollten daher Strategien wählen, die in der Portfoliokonstruktion die Geschäftsaktivitäten von Unternehmen aktiv berücksichtigen.
Apel, M., Betzer, A., & Scherer, B. (2022). Real-time Transition Risk. Finance Research Letters, forthcoming, Link zum Onlineartikel